Mit Weitblick zum Erfolg – Clemens Schödl, Gilead Sciences, im Interview
Clemens Schödl, General Manager von Gilead Sciences in Österreich, hat mit uns über die Anforderungen der Pharma-Branche gesprochen. Der Profi rät jungen Kollegen Weitblick zu beweisen und sich über geografische Grenzen hinaus auszuprobieren. Welche Rahmenbedingungen es für ein erfolgreiches Pharma-Unternehmen braucht, erzählt er uns im Interview.

Herr Schödl, Sie sind schon lange in der Pharmabranche tätig. Was fasziniert Sie an dieser Branche? Wollten Sie schon immer in diesem Bereich arbeiten?
Nicht immer, aber schon lange. Ich stamme aus einer Ärztefamilie, ChirurgInnen, InternistInnen und allerlei andere Fachrichtungen, wohin das Auge reicht. Meine Großmutter hatte als praktische Ärztin eine Ordination im 20. Wiener Gemeindebezirk. Und ich erinnere mich noch gut, wie sie von den „Vertretern der pharmazeutischen Firmen“ erzählt hat und diverse Mitbringsel unter uns Enkeln verteilt hat. Da bekamen wir etwa grässliche Hartplastik-Utensilien für den Schreibtisch oder Geduldspiele aus Metall – also Werbegeschenke, die heute skurril anmuten und zum Glück eh nicht mehr erlaubt sind.
Im Teenageralter stellte ich mir vor, später Unfallchirurg zu werden, so wie mein Vater, und erst ein inspirierender Chemie-Professor im Gymnasium hat mich auf einen anderen Plan gebracht. Er weckte das Interesse für die Naturwissenschaften und insbesondere der Chemie in mir – woraufhin ich Technische Chemie in Wien inskribierte. Mit dem Studienfortschritt habe ich mich dann sukzessive in Richtung des pharmazeutisch-chemischen Bereiches spezialisiert, mein Doktorvater Prof. Christian R. Noe war mir Inspiration und Vorbild zugleich, auch abseits der Chemie.
Mein erster Job führte mich auch gleich in die Pharmaindustrie – allerdings nicht ins Labor, sondern ins Produktmanagement. Denn ich habe schnell festgestellt, dass ich – bei aller Faszination für die Forschung – mehr mit Menschen als mit Laborgeräten arbeiten möchte.
Wie sind Sie zu Gilead Sciences gekommen?
Ganz einfach – ich wurde angesprochen, und nachdem ich seit jeher das Ziel hatte, einmal als Geschäftsführer gestalten zu dürfen, und Gilead als hoch innovatives Unternehmen überaus attraktiv ist, war ich sofort Feuer und Flamme.
Sie haben Anfang 2017 bei Gilead begonnen. Welche Erfolge konnten Sie in den letzten Jahren in Ihrer Position als General Manager bereits verzeichnen?
Ich verstehe mich in meiner Rolle immer als Teil des Teams und bin überzeugt, dass Erfolge ausschließlich das Ergebnis von richtiger guter Teamarbeit sind. Deshalb ist das, was wir erreicht haben, nicht MEIN Erfolg. Aber wir haben tatsächlich einiges bewirkt. So ist es uns beispielsweise gelungen, im Bereich der HIV und der Lebererkrankungen eine Reihe hoch innovativer Arzneimittel am österreichischen Markt erfolgreich einzuführen. Außerdem sind wir dran, die bahnbrechende CAR-T-Zelltherapie in der Krebsbehandlung mit zu etablieren. Und nicht zuletzt konnten wir Schritt für Schritt die Wahrnehmung von Gilead in der Öffentlichkeit deutlich verändern – hin zu dem wofür wir stehen: zum partnerschaftlich agierenden und am Patientennutzen orientierten Unternehmen.
Was ist Ihr Geheimnis, um in der Pharma-Branche erfolgreich zu werden? Was würden Sie jungen Kollegen raten?
Ich denke, es ist ganz wesentlich, genau hinzuschauen, welches Unternehmen bzw. welches Business Modell zu einem passt. Mich hat etwa die Forschung als Basis eines Geschäftsmodelles immer besonders interessiert und motiviert, weswegen ich eigentlich nur in der forschenden Pharmaindustrie gut aufgehoben bin.
Darüber hinaus würde ich einer jungen Kollegin oder einem jungen Kollegen vor allem eines raten: Sei offen. Versuch möglichst viel kennenzulernen. Schau dir möglichst viele verschiedene Positionen an. Und blick über den Tellerrand – insbesondere über den österreichischen Tellerrand. Lerne und erweitere deinen Horizont. Das Arbeiten mit Menschen aus anderen Ländern hat mich wohl am meisten bereichert.
Und vielleicht noch ein Tipp: Sei mobil, wenn du kannst. Mobilität ist heute ein riesiges Asset und eröffnet einem ungeahnte Möglichkeiten.
Gilead Sciences setzt sich mit Kampagnen wie „Know your status“ und #testtogether für mehr Wissen rund um HIV ein und war die letzten drei Jahre ein wesentlicher Sponsor des Lifeballs. Wie wichtig sind solche Aktionen auch im Sinne der Markenpräsenz?
Markenpräsenz ist für mich da NICHT die Triebfeder. Mir geht es vielmehr darum, im Sinne unseres 360-Grad-Ansatzes sinnvolle Aktivitäten zu verwirklichen. Dieser 360-Grad-Ansatz zielt darauf ab, vier 90er zu erreichen: 90 % aller Menschen mit HIV sollen ihren Immunstatus kennen. 90 % aller HIV-Infizierten, die ihren Immunstatus kennen, sollen dauerhaft eine antiretrovirale Therapie (ART) erhalten. Bei wiederum 90 % dieser Menschen soll das Virus komplett in seiner Vermehrung unterdrückt sein. Und darüber hinaus sollen 90 % der Menschen mit HIV eine hohe Lebensqualität haben und kein einziger Mensch mit HIV aufgrund seiner Erkrankung gesellschaftlich ausgeschlossen werden.
Aktivitäten wie der Lifeball oder die #testtogether-Kampagne adressieren die ersten beiden 90er perfekt und haben viel Awareness bewirkt. Doch wir bleiben da nicht stehen. Unser jüngstes Beispiel für dieses Engagement ist die Kooperation mit der Elton John AIDS Foundation. Im Rahmen des Projekts RADIAN investieren wir in einer Region, wo die Lage besonders dramatisch ist und unsere Ressourcen besonders benötigt werden – nämlich in Osteuropa und Zentralasien. Dort leben eine Million Menschen mit HIV, und die Sterberate stieg in den letzten 20 Jahren im Gegensatz zu Westeuropa um besorgniserregende 300% an. Da werden wir gebraucht, und da werden wir auch künftig unseren Fokus darauf legen.
Die Wirkung auf die Reputation des Unternehmens und der Marke entsteht bei solchen Aktionen übrigens ganz von selbst. Auch wenn das nicht der Zweck ist.
Laut einer Ihrer Aussagen des FUTURE :: HEALTH & SCIENCE TALK bietet Gilead ein Geschäftsmodell, um Innovation zu ermöglichen. Doch welche Rahmenbedingungen braucht es dafür? Muss sich hier auch auf politischer Ebene etwas verändern, um Neues zu ermöglichen?
Bei Forschung muss man grundsätzlich sagen: Ohne Geld keine Musik. Forschung bedeutet einen enormen finanziellen Aufwand, verbunden mit einem ausgeprägten unternehmerischen Risiko. Auf Innovationen zu setzen, muss man sich also erst mal trauen. Doch selbst, wenn man diesen Mut hat, funktioniert das a la longue nur, wenn man das Investment auch wieder zurückverdienen kann.
Dazu braucht es ein forschungsaffines Umfeld und ein Commitment der politischen Entscheidungsträger zum Medizin- und Life Science-Standort Österreich.
Trotzdem sehe ich das nicht unternehmenszentriert: Der Nutzen einer Innovation muss vor allem fürs Gesundheitssystem und die heimischen Patienten gegeben sein. Aber sie muss halt auch fürs Unternehmen einen Mehrwert im Sinne des Return on Investment bringen, damit das Innovationsmodell weiter funktioniert.
Welche Rahmenbedingungen müssen in einem Pharma-Unternehmen Ihrer Meinung nach gegeben sein, damit Innovation und Forschung voranschreiten können? Können Sie hier Beispiele aus Ihrer Erfahrung bei Gilead Sciences nennen?
Da heißt das Zauberwort Offenheit. Man muss ohne Scheuklappen über die Unternehmensgrenzen hinausschauen und sich mit der Scientific Community austauschen sowie vernetzen. Denn die wenigsten Innovationen entstehen im stillen Kämmerchen des Firmenlabors. Es sind die Partnerschaften zwischen Academia und Wirtschaft, die die wahren Durchbrüche ermöglicht haben. Auch wir bei Gilead haben einige Ideen von außen aufgegriffen, sind Partnerschaften eingegangen, haben die Weiterentwicklung ermöglicht und so Erfindungen zur Serienreife gebracht.
Sie sind im Vorstand der Pharmig, deren Verhaltenskodex teils strenger ausgelegt ist, als das Gesetz selbst. Schafft man sich so nicht selbst Hürden?
Nein, das sehe ich gar nicht so. Jedes Handeln im Gesundheitssektor muss sich an höchsten ethischen Grundsätzen orientieren. Hier geht es schließlich um elementare Bereiche des menschlichen Lebens. Natürlich könnte man auch mit seinem eigenen moralischen Grundgerüst und mit Hausverstand an das Thema herangehen. Ein Kodex hat aber den Vorteil, dass Details außer Streit gestellt werden, dass Grauzonen geregelt sind und, dass für alle die gleichen Regeln gelten.
Wer übrigens glaubt, er könne mit einem Vorbeischwindeln am Kodex wirtschaftliche Vorteile erlangen, ist wirklich kurzsichtig. Denn die meisten Fälle fliegen irgendwann auf und schaden der Reputation der Branche – und damit auch dem eigenen Unternehmen.
Deshalb ist es mir wichtig, mich auf diesem Gebiet zu engagieren, und so habe ich mich bereit erklärt, als Sponsor aus dem Vorstand dem Standing Committee „VHC und Compliance“ der Pharmig zur Verfügung zu stehen. Das Committee hat es sich für 2020 zum Ziel gesetzt, den zuletzt 2015 revidierten Verhaltenskodex sinnvoll zu überarbeiten bzw. zu ergänzen, so wie das die internationalen Interessenverbände EFPIA und IFPMA vor kurzem getan haben.
Vielen Dank für das Gespräch.