Kosten vs. Innovation – Dr. Wolfgang Wein, Merck, im Interview

04.11.2019 Interviews
3 Minuten Lesezeit

Dr. Wolfgang Wein, Geschäftsführer von Merck, hat mit dem ePharmaINSIDER über die Wichtigkeit von Innovation gesprochen und wieso die Reduktion der Kosten zukünftig dennoch im Vordergrund stehen wird.

created by Merck GmbH – Dr. Wolfgang Wein, Managing Director

Herr Dr. Wein, Sie waren schon in vielen Ländern in der Pharma-Industrie tätig, darunter England, Japan und Deutschland. Nun sind Sie wieder in Österreich. Welche Unterschiede gibt es zwischen den einzelnen Ländern? Wo liegt Österreich vorne? Wo gibt es Aufholbedarf? Kann Österreich im internationalen Vergleich mit anderen Ländern im Sinne von Forschung und Entwicklung mithalten?

Grundsätzlich liegt der Unterschied darin, dass die genannten Länder über „Big-Pharma“ verfügen, sodass trotz aller Pharma-Feindlichkeit doch auch Stolz auf die Leistung der eigenen Pharmaindustrie dazukommt. Es arbeiten natürlich auch viel mehr Menschen im Pharma-Bereich, aber auch im Umfeld von zuarbeitenden Dienstleistern, Instituten, Technologiebetrieben etc., sodass es doch eine sehr bedeutende Industrie darstellt. In Österreich fehlen vor allem die Investoren, um Pharma-Produkte mit einer durchschnittlichen Entwicklungszeit von 12 Jahren und Out-of-pocket-Kosten von 1,5 Milliarden Euro pro Produkt zu finanzieren.

Merck hat vor kurzem Versum Materials übernommen. Welche Synergien erwarten Sie sich davon? Welchen Einfluss haben andere Geschäftsbereiche auf die weitere Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln? Welche Vorteile bringt das auch für Ihre Kunden?

Merck hat unterschiedliche Sparten, wobei die Stärke des Konzerns darin liegt, jede Sparte zum richtigen Zeitpunkt zu stärken. Diesmal geschah dies zugunsten der Performance Material-Sparte durch Zukauf, hohe Investitionen laufen aber gleichzeitig in die klinischen Studien z.B. der Immun-Onkologie. Hier haben die innovativen Strategien einen deutlichen Zuwachs an Ansprechraten und Überlebenszeiten für die PatientInnen mit Tumorerkrankungen gebracht.

Merck hat in den letzten Jahren einige Zu- und Verkäufe getätigt – was ist Ihrer Meinung nach wichtig, um auch im Rahmen solcher Prozesse neue Mitarbeiter in das Unternehmen zu integrieren und eine gemeinsame Unternehmenskultur aufrechtzuerhalten?

Für uns entscheidend ist der Forschergeist und Offenheit für Neues, neue Technologien und Produkte. Zusätzlich ergeben sich Synergien zwischen den unterschiedlichen Technologien, z.B. Digitalisierung und Informatik innerhalb der Medizin, Sichtbarmachen und Monitoring von Erkrankungen sowie neue Methoden in der Diagnostik.

In früheren Jahren waren Sie für den Onkologie-Bereich von Merck zuständig. Was finden Sie an diesem Gebiet besonders wichtig oder spannend? Gibt es noch andere Forschungsgebiete von Merck, die Ihnen am Herzen liegen oder die Sie besonders spannend finden?

Mich haben immer die größten Herausforderungen interessiert und eine solche sind nach wie vor die Krebserkrankungen. Ich habe an der Entwicklung und Kommerzialisierung von drei sogenannten „Blockbuster“-Medikamenten mitgearbeitet bzw. diese geleitet. Wenn man bedenkt wie viele Hundertausende von Lebensjahren von Patienten durch diese drei Medikamente über die letzten Jahre gewonnen wurden, dann ist das ein sehr befriedigendes Gefühl, welches kein „Pharma-Bashing“ auslöschen kann. Wichtiger werden in Zukunft die Infektionskrankheiten werden, neurologische Erkrankungen durch das zunehmende Lebensalter der Menschen und Diabetes Typ 2.

Personalisierte Medizin wird derzeit immer mehr zum Thema. Welche Veränderungen werden durch die Personalisierte Medizin auf die Pharma- und Gesundheitsbranche zukommen?

Personalisierte Medizin, also das Zuschneiden der Medikamente auf jene Patienten, wo sie optimal wirken, wird, wenn man das Konzept zu Ende denkt, zu starker Fragmentierung des Marktes führen und damit zu vielen kleinen Produkten. Dies bedeutet, dass man theoretisch in immer kompliziertere Medikamente investieren muss, die dann nur für ein sehr kleines Marksegment zur Verfügung stehen. Daraus ergibt sich logischerweise ein hoher Preis, um die Entwicklungskosten wieder hereinzuspielen. Für das Gesundheitssystem sieht die Sache aber so aus, dass das Spektrum der Therapien dann von vielen solchen Medikamenten mit einem hohen Preis abgedeckt werden wird. Nur durch die erhöhte Effizienz der neuen Substanzen kann dieser Effekt dann mitigiert werden, also dass z.B. aus einer chronischen Krankheit eine Heilung wird, oder ein Bettlägeriger wieder arbeitsfähig etc..

Auch das Thema Daten wird immer bedeutender. Wie wird sich dieser Bereich in der Pharma-Industrie noch entwickeln? Welche Herausforderungen entstehen hier?

Die Verbindung von Artificial Intelligence und Genetik ist sicherlich eine der spannendsten Entwicklungen, so ist die AI heute schon in der Lage die Wahrscheinlichkeit von Mutationen bei Tumoren vorauszuberechnen. AI ist schon besser als Radiologen in der Diagnose von CT-Bildern und man kann durch das Analysieren von „Big Data“ neue Zusammenhänge erkennen. Zusammen mit der Telemedizin (Tele-Messung von Blutzucker, EKG per iPhone, etc.) wird das die Medizin vollkommen verändern.

Mit dem Merck Cast ist Merck ein Vorreiter, wenn es um digitale Trends in der Pharmabranche geht. Als wie wichtig erachten Sie die Nutzung von neuen Formaten wie beispielsweise Podcasts oder auch Social Media?

An Social Media kann heute niemand vorbei. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass aber die Verlässlichkeit der Information, der Fakten und die seriösen Kommentare erhalten bleibt.

Ständiger Wandel ist auch in der Pharma-Industrie ein Thema. Wie wird sich die Pharma-Branche Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren verändern? Welche Trends werden auf uns zukommen?

Ich glaube, dass der massive Fokus in Europa auf Kostenreduktion bei den Medikamenten (ohne dass es hierzu eine große Notwendigkeit gibt, da der Anteil der Kosten am Gesundheitsystem seit vielen Jahren konstant ist), dazu führen wird, dass sich der Schwerpunkt der Forschung und Innovation bzw. der Attraktivität der Märkte nach Nordamerika, China und in andere asiatische Länder verschieben wird. Europa wird eher in Richtung Nachahmerprodukte gehen und sich einige wenige innovative Medikamente leisten, sofern sie einen beträchtlichen neuen Benefit bzw. Einsparungen bringen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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