„Decision Support nicht nur nice to have“ – Priv. Doz. Dr. Johannes Pleiner-Duxneuner von Roche im Interview
Priv. Doz. Dr. Johannes Pleiner-Duxneuner von Roche Österreich hat mit uns über personalisierte Medizin und die Rolle von Big Data gesprochen. Für ihn sind computerunterstützte Empfehlungen nicht nur „nice to have“, sondern ein essenzieller Teil der Medizin in der Zukunft. Wohin dieser Trend noch führen wird und welche Hürden bewältigt werden müssen, erklärt er im Gespräch mit dem ePharmaINSIDER.

Dr. Pleiner-Duxneuner, wie sind Sie in die Pharma-Branche gekommen? Was finden Sie an Pharma so faszinierend? Wieso sind Sie von der Medizin in die Pharma-Branche gewechselt?
Ich bin seit mehr als 5 Jahren in der Pharma-Branche tätig und konnte bis jetzt Erfahrungen bei zwei Firmen sammeln. Ich war immer neugierig darauf Neues kennenzulernen. Nach meiner Ausbildung zum Internisten war ich in meiner Rolle an der Medizinischen Universität Wien im Koordinierungszentrum für klinische Studien viel im Austausch mit der Pharma-Industrie. Mich haben damals die Professionalität und die Geschwindigkeit, mit der Projekte umgesetzt werden, fasziniert. Deshalb war der Schritt für mich in die Pharma-Industrie naheliegend.
Wie wirkt sich Ihr Know-How aus Ihrer Zeit als Arzt in Ihrer jetzigen Tätigkeit in der Pharma-Branche aus? Gibt es hier etwas, dass Ihnen bei Ihren jetzigen Aufgaben besonders hilft oder Bereiche, wo Sie lernen mussten, umzudenken?
Obwohl ich jetzt schon einige Zeit in der Industrie tätig bin, hilft mir die Erfahrung aus meiner ärztlichen Tätigkeit. Das beginnt mit einem Grundverständnis für Krankheiten sowie den Problemen und Gedanken, die Ärzte tatsächlich beschäftigen. Es fällt mir leicht mich in Ärzte hineinzuversetzen. Das hilft zum Beispiel sehr beim Aufsetzen und Durchführen von Kooperationsprojekten mit Ärzten und öffentlichen Institutionen.
Andererseits konnte ich in der Industrie meinen Horizont deutlich erweitern und habe gelernt wichtige Player im Gesundheitswesen besser wahrzunehmen und einzuschätzen.
Stichwort: Personalisierte Medizin – wie will Roche hier Vorreiter sein? Gibt es konkrete Projekte oder ist es ein laufender Prozess? Worauf kommt es hier an?
Wir sind durch unsere zwei Divisionen – Pharma und Diagnostik – bestens aufgestellt, um Vorreiter auf dem Gebiet der personalisierten Medizin zu sein. Wir haben ja auch schon in der Vergangenheit einiges in diesem Bereich auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel beim Her2-positiven Brustkrebs.
Unser derzeitiges Verständnis von personalisierter Medizin beruht auf einem geeigneten Test (Biomarker, „-omics“, etc.) und einer daraus folgenden, gezielten Therapie. Ich denke, dass das ein laufender Prozess ist, da wir immer bessere Tests bzw. Kombinationen von Tests haben und es immer mehr zielgerichtete Therapien gibt.
Allerdings ergeben sich dadurch neue Herausforderungen für Ärzte und Patienten. Das beginnt beim Zugang zu hochwertigen, standardisierten Tests (Stichwort EU-IVD Regulation) und endet beim hoffentlich österreichweit gleichen Zugang zu den daraus folgenden Therapien.
Hier brauchen wir den Dialog und die Zusammenarbeit mit allen Partnern im Gesundheitssystem, um personalisierte Medizin in Österreich Realität werden zu lassen.
Welche Rollen spielen Daten, Datengenerierung und Vernetzung für die personalisierte Medizin?
Die personalisierte Medizin ist nicht ohne die Anwendung von „Big Data“ möglich. Das ist für die Generierung von Evidenz bzw. auch die Verarbeitung von Informationen aus diversen Tests unerlässlich. Wichtig ist dabei die Qualität der gesammelten Daten, um aus „Real World Data“ „Real World Evidence“ zu generieren. Ich halte dazu Initiativen wie ELGA für sehr sinnvoll, wenn sie richtig umgesetzt werden.
Personalisierte Medizin ist flächendeckend nicht ohne Vernetzung zwischen Gesundheitsinstitutionen möglich, um einerseits das Know-How von spezialisierten Zentren zu nutzen und dem Patienten eine wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten.
Welche Hindernisse gibt es hier, vielleicht auch aus juristischer Sicht? Viele Patienten haben auch nach wie vor Angst vor Datenmissbrauch. Wie wirken Sie hier bei Roche entgegen?
Bei der Verwendung von sensiblen Gesundheitsdaten ist der Datenschutz natürlich ein Thema. Für die meisten Anwendungen von Big Data ist aber ohnehin nur eine Nutzung anonymisierter und/oder aggregierter Daten notwendig. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Datenschutz kann helfen, Panikmache sicher nicht. Mir ist zum Beispiel vollkommen unverständlich, warum man ein Smartphone nutzt, seinem Supermarkt für ein paar Prozente seine ganzen Einkaufsgewohnheiten preisgibt und sich gleichzeitig von ELGA abmeldet.
Selbstverständlich sind große Datenmengen sinnvoll auch nur in der „Cloud“ zu managen. Die Sicherheitsstandards und Schutz vor Missbrauch sind bei diesen Diensten längst viel besser, als bei vielen „vor Ort“-Lösungen im Krankenhaus oder gar in der Arztpraxis.
In einem anderen Interview haben Sie von Veränderungen im Sinne von computergestützten, automatisierten Empfehlungen im Rahmen der Diagnostik und Therapie gesprochen – widerspricht das nicht einer personalisierten Medizin, bei der jeder Patient individuell betrachtet werden soll? Wie sollte man hier auch die Botschaft an die Patienten selbst adressieren?
Die Menge an Information wächst rasant. Vor 10 Jahren war die Verdoppelungszeit des medizinischen Wissens noch bei 3,5 Jahren, jetzt sind wir schon bei 0,2 Jahren bzw. 73 Tagen. Kein Arzt der Welt kann sich diese Informationsflut merken. Computerunterstützte Empfehlungen (Decision support) ist also nicht mehr ein „nice to have“, sondern ein essentieller Teil der Medizin der Zukunft und damit natürlich auch der personalisierten Medizin. Die Therapie-Entscheidung und die Betrachtung des Menschen als Ganzes und nicht nur seiner Erkrankungen obliegt aber natürlich auch in Zukunft dem Arzt gemeinsam mit dem Patienten. Das ärztliche Gespräch wird meiner Meinung nach in Zukunft noch viel wichtiger.
In der ganzen Diskussion um Digitalisierung, Big Data und personalisierter Medizin dürfen wir auf den wichtigsten Player im Gesundheitssystem nicht vergessen – die Patienten und Patientinnen. Aufklärungs-Kampagnen und Einbinden von PatientInnenorganisationen halte ich für wichtig.
Denken Sie, können soziale Medien ihren Beitrag dazu leisten? Wenn ja: Wie? Und welchen Stellenwert räumen Sie Social Media generell in der Zukunft der Pharma-Branche ein?
Die Pharma-Branche ist, was Social Media betrifft, im Vergleich zu anderen Branchen sehr zurückhaltend. Das hat viele Gründe. Zum einen, gesetzliche Vorgaben wie das Laienwerbeverbot oder die Richtlinie, dass Nebenwirkungsmeldungen über Social Media innerhalb kürzester Zeit an entsprechende Bearbeitungsstellen weiterzuleiten sind. Deshalb lassen viele Pharmafirmen lieber die Finger von Social Media.
Diese Einstellung ändert sich aber zunehmend, da auch die Zukunft der Pharma-Branche nicht ganz ohne Social Media auskommt. Gerade wenn es um Aufklärung zu Themen (nicht Produkten) wie z.B. personalisierter Medizin geht. Noch dazu, wo die größten und mächtigsten Mitbewerber im Bereich Digitalisierung und Big Data nicht andere Pharma-Firmen sind, sondern Konzerne wie Google, Apple, Facebook und Amazon; und die haben bekannter Weise ein entspanntes Verhältnis zu Social Media. Wir bei Roche versuchen bereits Social Media für unsere Kommunikation einzusetzen, etwa um Awareness für Erkrankungen oder die personalisierte Medizin zu schaffen oder aber aktuell unsere Spendenaktion GetReady4Krebsforschungslauf zu promoten.
In der Onkologie hat sich die personalisierte Medizin am schnellsten entwickelt –welche anderen Bereiche ziehen hier nach? Wo gibt es momentan viel Potenzial?
Die Onkologie ist hier klar Vorreiter, bedingt durch die Schwere der Erkrankungen und den dadurch bestehenden Medical Need. Aber andere Bereiche folgen knapp dahinter. Im Prinzip alle Therapiegebiete und Erkrankungen wo durch Biomarker und Tests anschließend Therapie-Entscheidungen getroffen werden können. Immunologische Erkrankungen, wie rheumatische Erkrankungen sowie viele neurologische Erkrankungen, aber auch die Kardiologie, Diabetes und respiratorische Erkrankungen wie Asthma bronchiale. Mittelfristig wird die personalisierte Medizin aus kaum einem Krankheitsbereich wegzudenken sein.
Vielen Dank für das Gespräch.